Wie können Windkraftanlagen länger am Laufen gehalten werden? Zunächst einmal wird eine regelmäßige Windzufuhr benötigt. Ein weniger bekannter, aber äußerst wichtiger Faktor für die Bereitstellung von Windenergie ist die Dauerschmierung.

Windkraftanlagen – insbesondere Offshore-Anlagen – sind leistungsfähige Maschinen mit langer Betriebsdauer. Moderne Anlagen verwenden eine Reihe fortschrittlicher Technologien und werden aus vielen Spezialwerkstoffen gefertigt. Diese Materialien und die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, erfordern eine Schmierung mit speziellen Ölen und Fetten. Dabei sind spezifische Produkte für jedes einzelne bewegliche Teil einer Turbine erforderlich.

Die Nachfrage in dieser Branche nimmt rasant zu. Zwischen 2008 und 2019 stieg der Anteil der Windkraft an der Stromerzeugung in der EU von 3,9 Prozent auf fast 12 Prozent, und im Jahr 2020 wurden in der gesamten EU und im Vereinigten Königreich fast 2.000 Windturbinen installiert. Bei diesen Turbinen kann man mit einem nahezu kontinuierlichen Betrieb von 20 Jahren oder mehr rechnen. Fortschrittliche Schmierstoffe können dazu beitragen, kostspielige Wartungstermine und den Verschleiß von einzelnen Teilen zu reduzieren, um die Lebensdauer der Turbine zu verlängern.

ExxonMobil ist ein führender Hersteller von Schmierstoffen für Windkraftanlagen und hat viele Spezialprodukte für diese Branche entwickelt. Energy Factor Europe hat sich mit Gunnar Sienknecht, Ingenieur bei ExxonMobil und Spezialist auf diesem Gebiet, getroffen, um herauszufinden, wie sich Turbinenschmierstoffe in den letzten Jahren entwickelt haben.

Energy Factor Europe: Wie wichtig ist die Schmierung für den Betrieb und die Lebensdauer einer Windkraftanlage? 

Gunnar Sienknecht: Die Schmierung war für den Betrieb von Windkraftanlagen schon immer von zentraler Bedeutung, und das wird sicherlich auch so bleiben. Ohne Schmierstoffe, also Öle und Fette, ist es unmöglich, die Turbine zum Laufen zu bringen und Strom zu erzeugen.

Nicht nur der eigentliche Schmierstoff ist entscheidend, um die Rotorblätter am Laufen zu halten, auch die damit verbundenen Services spielen in diesem Bereich eine immer wichtigere Rolle. Dazu gehören z. B. erweiterte Altölanalyse, Zustandsüberwachung und vorausschauende Instandhaltung – um nur einige zu nennen. Diese Services tragen dazu bei, den vollen Nutzen aus unseren Hochleistungsölen zu ziehen und einen sicheren und produktiven Betrieb zu gewährleisten.

EFE: Wie viele Teile der Turbine müssen geschmiert werden, und um welche Art von Teilen handelt es sich dabei?

Gunnar Sienknecht: Das ist unterschiedlich. Zu den wichtigsten Teilen gehören die Hauptgetriebe, die Hauptlager, die Rotorblatt- und Gierlager, die Generatorlager, die Zahnräder und die Hydrauliksysteme. Das Hauptgetriebe benötigt am meisten Schmieröl. Je nach Turbinengröße können zwischen 200 und 1.400 Liter Schmierstoff benötigt werden. Jeder einzelne Anwendungspunkt in der Turbine kann ganz bestimmte Anforderungen haben.

EFE: Wie lange hält die Schmierung normalerweise?

Gunnar Sienknecht: Der Industriestandard bzw. die Erwartung lag vorher bei etwa vier bis sieben Jahren, aber das hat sich schnell geändert. Mittlerweise erwarten Betreiber eine Mindestlebensdauer von sieben Jahren – und wir haben uns zum Ziel gesetzt, dass unser Öl deutlich länger hält. Unser neues Produkt Mobil SHC Gear 320 WT hat beispielsweise eine garantierte Lebensdauer von zehn Jahren. Das bedeutet, dass die Kunden eine Mindestlebensdauer von zehn Jahren erwarten können, bevor der Schmierstoff gewechselt werden muss. Und es könnte sogar noch länger dauern.

Wir können einen starken Trend in Richtung „Fill-For-Life“-Öle beobachten und arbeiten derzeit an umfassenden Lösungen, um diese Anforderungen zu erfüllen. Es handelt sich um eine Kombination aus dem richtigen Öl und begleitenden Services, um Betreibern einen längeren Betrieb der Turbinen ohne Ölwechsel zu ermöglichen. Ölwechsel sind zeitaufwändige, kostenintensive und potenziell gefährliche Vorgänge, vor allem auf hoher See. Daher steigt auch der Bedarf an vorausschauender Instandhaltung mithilfe von automatisierten Prozessen. Betreiber benötigen ein Produkt, das über einen langen Zeitraum stabil ist, ohne dass sich der Ölzustand plötzlich verändert. Zudem bedeuten weniger Ölwechsel weniger Altöl. Das ist ein wichtiger Aspekt, den Betreiber ebenfalls berücksichtigen sollten.

EFE: Das bedeutet, dass Sie die Windkraftanlage am ersten Tag mit Öl befüllen und dann davon ausgehen können, dass Sie sie zehn Jahre lang nicht nachfüllen müssen?

Gunnar Sienknecht: Ja, aber das ist nur mit wirklich guten, hochmodernen Schmierstoffen möglich. Das ist kein Standard. In der Frühphase der Windindustrie waren anstelle von Spezialölen für Windkraftanlagen Mineralöle der Standard. Diese hatten ein Wartungsintervall von bis zu zirka zwei Jahren. Dann sind wir auf hochwertigere Öle sowie synthetische Öle umgestiegen. Damit erhöhte sich die Öllebensdauer auf etwa fünf Jahre. Jetzt bewegen wir uns auf zehn Jahre zu – und wie ich bereits erwähnt habe: wir streben sogar noch mehr an. Es bleibt interessant!

EFE: Woher wissen Sie dann, wann Sie das Öl wechseln müssen?

Gunnar Sienknecht: Je nach Wartungsintervall wird das Öl etwa alle sechs oder 12 Monate überprüft. Sie können dann je nach Ergebnis entscheiden, ob Sie noch ein halbes oder ein weiteres Jahr fortfahren möchten. Am wichtigsten ist es, zu überprüfen, ob im Inneren des Getriebes Anzeichen von Verschleiß oder chemischen Anomalien vorliegen, die durch Partikelzählung und Kontrolle der chemischen Elemente erkannt werden können. Anhand dieser Daten können Sie bestimmen, ob das Öl für den weiteren Gebrauch geeignet ist oder nicht. Die Altölanalyse ist der entscheidende Faktor, um Anomalien nachzuweisen.

Sensortechnik, Echtzeit-Zustandsüberwachung und weitere digitale Lösungen wurden vor Ort getestet – und wie Sie sich vorstellen können, waren wir auch involviert. „Öl als Service“ ist die Zukunft, und daran wollen wir unbedingt teilhaben. Wir sind seit dem ersten Tag in der Windindustrie tätig und unser Ziel ist es, unsere Position als einer der Branchenführer beizubehalten.

EFE: Ist es einfach, eine Zulassung für Schmierstoffe zum Einsatz in Windkraftanlagen zu erhalten?

Gunnar Sienknecht: Der Zulassungsstandard für die Produkte in der Windindustrie ist hoch. Verschiedene Institute haben sehr spezialisierte Tests entwickelt, um vorhersehbare Probleme abzudecken, die innerhalb Ihrer Anlage auftreten können.

Unterschiedliche Öle benötigen daher auch unterschiedliche Zulassungsstufen. Um eine Zulassung für die Turbinenanwendung zu erhalten, müssen Sie den Hersteller jeder einzelnen Komponente der Turbine, aber auch den Hersteller der Turbine selbst überzeugen. Auch wenn Ihnen die Getriebefreigabe bereits vorliegt, heißt das nicht, dass Sie bereits die Zulassung für die Turbine haben. Das kann ein langer Prozess sein!

EFE: Wie sieht der Schmierstoffmarkt für Windkraftanlagen aus?

Gunnar Sienknecht: Es ist nicht so einfach, ein Produkt mit solch hohen Anforderungen zu entwickeln. Daher haben wir natürlich starke Konkurrenz, aber es gibt relativ wenige Schmierstoffhersteller, die spezielle Öl und Schmierfette für Getriebe anbieten. Im Vergleich zu Schmierstoffherstellern für beispielsweise hydraulische Systeme ist das ein kleiner Kreis. Diese Anwendungen erfordern eine Leistung, die durch gängige Industrieschmierstoffe abgedeckt werden kann. Es gibt keine spezielle Formulierung für die hydraulischen Bremssysteme, auch nicht in Windkraftanlagen. Kunden erwarten zunehmend technologisch anspruchsvollere Mehrwertdienstleistungen, die ihnen dabei helfen, die Produktivität und Nachhaltigkeit ihrer Anlagen zu verbessern.

EFE: Wie wird sich die Nachfrage nach diesen Produkten in Zukunft entwickeln?

Gunnar Sienknecht: Die Nachfrage nach erneuerbarer Windenergie nimmt weiter zu, was die Einführung neuer Windkraftanlagen vorantreibt. Zudem müssen viele Umrüstungsprozesse berücksichtigt werden. Turbinen, die z. B. vor 15 Jahren errichtet wurden, werden durch neuere Turbinen ersetzt, für die möglicherweise hochwertigere Schmierstoffe erforderlich sind. Natürlich handelt es sich dabei um größere Turbinen. So steigen die Anforderungen an Hochleistungsschmierstoffe von Jahr zu Jahr.

Schmierstoffe müssen auch auf neue Technologien innerhalb der Turbinen angepasst werden. Wir stehen in engem Kontakt mit Herstellern von Turbinenteilen und Windkraftanlagen sowie Betreibern von Windparks und arbeiten mit ihnen zusammen. Ein neues System, mit dem Sie jedes einzelne Rotorblatt (Individual Pitch Control) steuern können, ermöglicht es Ihnen beispielsweise, den Lastzustand Ihrer Turbine zu optimieren. Dafür müssen die Schmierfette für die Rotorblatt-/Pitchlager allerdings sehr hohe Leistungen erbringen, um Verschleißmechanismen entgegenzuwirken. Diese zusätzlichen Leistungskriterien unterscheiden sich von den Anforderungen für ein herkömmliches Rotorblatt- oder Pitchsteuersystem. Nur wenige Produkte auf dem Markt erfüllen diese hohen Anforderungen.

Darüber hinaus setzen Kunden auf zuverlässige Produkte mit einem längeren Wartungsintervall und einer geringeren Umweltbelastung. Wir befinden uns derzeit in einer Phase mit neuen Formulierungsanforderungen, um diesen zukünftigen Ansprüchen gerecht zu werden.

Die Windenergie ist eine Branche, die sich in einem tiefgreifenden Wandel befindet, und wir möchten uns an diesem Wandel wesentlich beteiligen.

 

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