Wichtigste Erkenntnisse:

  • Um die Netto-Null-Emissionsziele der EU bis 2050 zu erreichen, müssen die Investitionen der Industrie deutlich steigen.
  • ExxonMobil plant, zwischen 2022 und 2027 weltweit 20 Milliarden US-Dollar für Investitionen in kohlenstoffarme Technologien auszugeben, aber wenn sich die Politik nicht ändert, wird es schwierig sein, diese Mittel teilweise in Europa zu investieren.
  • Die Politik spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, Europa für Projekte und Technologien attraktiv zu machen, um die notwendige Energiewende voranzubringen.

Die europäische Industrie und die Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker, die sie vorantreiben, liegen mir sehr am Herzen.

Als gebürtiger Europäer, dessen Karriere als Chemieingenieur in der Normandie begann, wünsche ich mir, dass Unternehmen wie ExxonMobil dabei helfen, dass Europa sein Ziel der Netto-Null-Emissionen erreicht.

Aber wenn die Regierungen die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie nicht in den Mittelpunkt des nächsten institutionellen Zyklus der EU stellen, ist die Zukunft der europäischen Industrie – und des Green Deal – gefährdet.

Europa braucht einen Business Case – und zwar dringend

Es ist kein Geheimnis, dass jeder, der ein Unternehmen führt – sei es ein globaler Konzern oder ein junges Start-up-Unternehmen – die Wirtschaftlichkeit im Blick haben muss. In Europa ist das derzeit nicht der Fall.

Hohe Energie- und Arbeitskosten, gepaart mit regulatorischen Belastungen, schaden der EU und ihrer Fähigkeit, die für die Energiewende notwendigen Investitionen anzuziehen.

Aus diesem Grund habe ich kürzlich im Namen meines Unternehmens die Antwerpener Erklärung für einen europäischen Industrievertrag unterzeichnet, in der Klarheit, Berechenbarkeit und Vertrauen in Europa und für seine Industriepolitik gefordert werden.

Einfluss der Politik auf Investitionen

Die EU-Politik hat weitreichende Auswirkungen auf Industrie- und Investitionsentscheidungen.

Bei Investitionsentscheidungen bevorzugt ExxonMobil Regionen mit einer klaren und langfristigen Politik, die attraktive Renditen ermöglicht.

Leider ist die derzeitige politische Landschaft in Europa für innovative Projekte nicht förderlich. Vorschriften ändern sich, Umweltziele werden beschleunigt und Steuern rückwirkend erhöht.

Nicht nur wir sind besorgt.

Laut einer aktuellen Umfrage des European Roundtable for Industry glauben 84 % der Führungskräfte von Unternehmen, dass Europa an Wettbewerbsfähigkeit verliert.

In unserem Werk in Antwerpen würden wir gerne eine moderne Recyclinganlage bauen, die schwer zu recycelnde Kunststoffe in neue, wertvolle Produkte umwandelt – ein wichtiger Beitrag zu den europäischen Zielen der Kreislaufwirtschaft. Aber es ist schwierig, die notwendigen Genehmigungen zu bekommen.

In den USA haben wir eine ähnliche Anlage in Baytown, Texas, an der Golfküste in Betrieb genommen. Dort können wir jetzt bis zu 40.000 Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr verarbeiten. Zum Vergleich: Das entspricht dem Gewicht von vier Eiffeltürmen.

Wir wollen in Europa in fortschrittliches Recycling investieren, aber es muss wirtschaftlich sinnvoll sein.

Verpflichtung zur Reduzierung von Emissionen

Trotz dieser Herausforderungen sind wir weiterhin entschlossen, unsere Scope-1- und Scope-2-Emissionen aus den von uns betriebenen Anlagen zu reduzieren. Wir sehen darüber hinaus Möglichkeiten, unsere Kernkompetenzen zu nutzen, um anderen Unternehmen ihrerseits bei der Reduzierung ihrer Emissionen zu helfen, und so die Bemühungen Europas für eine nachhaltige Zukunft zu unterstützen.

Achtzig Prozent der weltweiten energiebedingten CO2-Emissionen stammen aus drei Sektoren: Industrie, Stromerzeugung und gewerblicher Verkehr. Mit Technologien wie Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, Wasserstoff und emissionsarmen Kraftstoffen arbeiten wir an der Entwicklung emissionsarmer Lösungen für diese Schlüsselindustrien. Darüber hinaus wollen wir ein führender Hersteller von Lithium für Elektrofahrzeugbatterien werden.

Das Erreichen von Emissionsreduktionszielen erfordert mehr als Unternehmensinitiativen; es erfordert gemeinsame Anstrengungen und eine marktorientierte, technologieoffene Politik, die wettbewerbsfähige Renditen unterstützt.

Der belgische Premierminister Alexander de Croo hat es auf den Punkt gebracht: „Wir brauchen unsere Industrie aufgrund ihrer Innovationsfähigkeit, um die Klimalösungen von morgen zu entwickeln. Deshalb darf Europa nicht nur der Kontinent der industriellen Innovation sein, sondern er muss auch ein Kontinent der industriellen Produktion bleiben.“

Gemeinsam die Industrie in Europa halten

Ich fordere die Regierungen und die Interessenvertreter der Industrie auf, gemeinsam auf die Anliegen von Unternehmen wie dem unseren einzugehen und einen politischen Rahmen zu schaffen, der Innovationen fördert, Investitionen anregt und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie sichert.

Es gibt bereits Anzeichen für eine Deindustrialisierung in Europa – Produktionskapazitäten werden abgebaut und Standorte geschlossen. Es ist höchste Zeit zu handeln.

Wenn Europa seine strategische Agenda für die nächsten fünf Jahre festlegt, muss es deutlich machen, dass eine Dekarbonisierung durch Deindustrialisierung nicht nachhaltig ist. Nicht für das Klima, nicht für unsere Bürger und nicht für unsere Unternehmen. Gemeinsam können wir die vor uns liegenden Herausforderungen meistern und den Weg für eine nachhaltigere Zukunft in Europa ebnen.

Philippe Ducom ist Präsident von ExxonMobil Europe.

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